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Bürgermeister Jens Geiß am Volkstrauertag auf dem Friedhof.

Gedanken zum Volkstrauertag (18.11.20)

Rubrik:

Der Bürgermeister informiert

Herausgeber:

Gemeinde Oftersheim - Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

obwohl in diesem Jahr der Volkstrauertag aus gegebenem Anlass nicht mit einer Gedenkfeier begangen werden konnte, habe ich es mir nicht nehmen lassen, zum Gedenken einen Kranz am Ehrenmal auf unserem Friedhof niederzulegen. Nachstehend einige Gedanken zu diesem wichtigen Tag:
Unsere Welt hat sich in den vergangenen Monaten durch die Corona-Krise sehr verändert. Es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der nicht davon betroffen war, und es gab vieles, auf das wir im Laufe des Jahres verzichten mussten. Auch der diesjährige Volkstrauertag kann nicht im gewohnten Rahmen stattfinden, sondern musste auf ein Minimum reduziert werden. Wahrscheinlich ist das Wort „reduzieren“ eines der Verben, die wir dieses Jahr am häufigsten verwendet haben.
Wir alle mussten es wieder und wieder hören und verbinden damit die massiven Einschränkungen, die wir alle in Kauf nehmen mussten. Einschränkungen, die es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gegeben hat. Für diejenigen von uns, die weder die Kriegs- noch die Nachkriegszeit erlebt haben, waren solche Maßnahmen unbekannt. Ausgangsbeschränkungen, Versammlungsverbot, Hamsterkäufe und Warenknappheit kannten die meisten von uns nur aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern. Corona riss uns regelrecht heraus aus unser Komfortzone - aus unserem gewohnt bequemen Leben.
Als besonders einschneidend erlebten wir die Beschränkung unserer persönlichen Freiheit. Die Tatsache, dass wir uns nicht wie gewohnt mit Freunden oder zum Sport treffen konnten. Dass wir uns gezwungenermaßen oder aus Vorsichtsgründen nicht mit unseren Angehörigen treffen konnten. Dass manche von uns- zumindest phasenweise – noch nicht einmal ihrer Arbeit nachgehen konnten.
Viele von uns erlebten zum ersten Mal Existenzangst. Manche hatten sogar Angst um ihr Leben und zählten urplötzlich zu einer Risikogruppe. Die Pandemie weist tatsächlich viele Parallelen auf zu einer Zeit, die viele von uns nicht erleben mussten, die unser Land aber nachhaltig geprägt hat.
Vielleicht verstehen wir jetzt zumindest ein bisschen, wie es gewesen sein muss. Wie alleine und machtlos man sich im Angesicht des Schreckens fühlen kann. Auch jetzt mussten Menschen ihr Leben verlieren. Und als ob das nicht genug wäre, starben sie ganz alleine. Obwohl wir in einer hochtechnisierten, global vernetzten Welt leben, in der scheinbar nichts unmöglich ist.
Ein Ende der Pandemie ist noch lange nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil – zurzeit kämpfen wir wieder mit steigenden Zahlen und stellen fest, dass aus der anfänglichen Betroffenheit Unmut, Widerwille und Interesselosigkeit entwachsen sind. Eine Einstellung, die gefährlich ist. Denn immer da, wo Betroffenheit Desinteresse und Gleichgültigkeit weicht, lauert die Gefahr, dass ein gefährlicher Nährboden für Intoleranz und Egoismus entsteht. Das gilt für Pandemien genauso wie für das Gedenken an die vielen Opfer von Krieg und Vertreibung. Vielleicht haben Sie es selbst in der letzten Zeit bemerkt. Angesichts unserer „eigenen“ Krise verstummt vielfach unser Entsetzen über die Krisen der Welt. Sie lenkt unser Interesse ab von unerträglichen Zuständen in europäischen Flüchtlingslagern und immer neuen Krisen- und Kriegsgebieten. Corona lässt selbst Umweltkatastrophen, die zukünftig noch viel drastischere Auswirkungen haben könnten als die derzeitige Pandemie, zu Randnotizen verblassen.
Einige von uns sind der vielen Schreckensnachrichten müde und treten den Rückzug in die vermeintliche Sicherheit unserer eigenen vier Wände an. Die anderen gehen in die scheinbare Offensive und lehnen sich auf gegen die Maßnahmen des Staates. Wie fragwürdig diese Einstellung ist, sehen wir daran, dass auf einmal Maßnahmengegner mit verfassungsfeindlichen Staatsgegnern gemeinsam auf die Straße gehen ohne zu überlegen welche Zeichen sie damit setzen. Was uns die hohe Bedeutung des Volkstrauertages wieder ins Gedächtnis ruft. Denn seit dem Jahr 1952 steht der Volkstrauertag als gesetzlicher Feiertag dem kollektiven Vergessen entgegen. Er erinnert uns daran, was passiert, wenn eine Gesellschaft die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Wenn Menschen nichts mehr hinterfragen, sondern sich kopflos mitreißen lassen und in den Strudel der Mitläufer geraten.
Freiheit ist und bleibt unser höchstes Gut – dies ist uns durch unser Grundgesetz zugesichert. Die notwendigen Maßnahmen zum Schutz aller stellen zwar eine temporäre Einschränkung dar – doch sie sind getragen von der Notwendigkeit die Pandemie einzudämmen. Auch staatliche Fürsorge ist eine Errungenschaft und keinesfalls selbstverständlich, wie man beim Blick auf die Nachrichten der Welt feststellen muss. Wir tun gut daran, auch dies nicht zu vergessen.
Mittlerweile sind 75 Jahre seit dem Ende des 2. Weltkrieges vergangen. Doch an den Folgen leiden direkt und indirekt noch viele. So ist und bleibt es unsere Pflicht uns dies ins Gedächtnis zu rufen.
Ganz besonders in einem so schicksalshaften Jahr wie diesem. Eine Feierstunde zum Volkstrauertag konnte es dieses Jahr aus gegebenem Anlass leider nicht geben.
Dennoch bitte ich Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch in diesem Jahr wieder der Opfer von Krieg und Gewalt, Flucht und Vertreibung zu gedenken. Lassen Sie uns eine zusätzliche Minute in stillem Gedenken für die nun über eine Million Toten der aktuellen Pandemie innehalten. Und uns gegenseitig versprechen, dass wir auch angesichts aller Ungewissheiten und Unbequemlichkeiten nicht vergessen, dass Menschlichkeit und Nächstenliebe unsere Leitgedanken für den Weg aus jeder Krise sein müssen.

 

Ich grüße Sie herzlich - bitte bleiben Sie gesund.

 

Jens Geiß
Bürgermeister